Im Rahmen betriebsbedingter Kündigungen ist regelmäßig eine Sozialauswahl anhand bestimmter sozialer Kriterien der Mitarbeiter vorzunehmen. Eine Vielzahl betriebsbedingter Kündigungen scheitert aufgrund nicht korrekt vorgenommener Sozialauswahl. Dies kann zu hohen Verzugslohnansprüchen führen.
Eine Sozialauswahl ist nur bei einer Betriebsstilllegung regelmäßig entbehrlich.
Das BAG hat in seinem Urteil vom 21.05.2015, Az. 8 AZR 409/13 allerdings entschieden, dass eine Sozialauswahl auch dann erfolgen muss, wenn zwar allen Arbeitnehmern eines Betriebes gekündigt wird, einem Teil der Arbeitnehmer aber im Zusammenwirken mit einem Schwesterunternehmen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses angeboten wird und somit deren Kündigung eigentlich keine weiteren rechtlichen Folgen für den rechtlichen und sozialen Bestand des Arbeitsverhältnisses haben soll.
Dem vom BAG entschiedenen Fall lag folgende Konstellation zugrunde:
Die Arbeitgeberin unterhielt fünf unterschiedliche Geschäftsbereiche, die jeweils unterschiedliche Dienstleistungen anboten. Vier der fünf Geschäftsbereiche wurden an andere Unternehmen veräußert. Zwei der Geschäftsbereiche wurden jedoch an ein Schwesterunternehmen der Arbeitgeberin veräußert, das in die Rechte und Pflichten der Arbeitsverhältnisse eintrat, die bei der Arbeitgeberin den übernommenen Geschäftsbereichen zugeordnet waren. In einem an die betreffenden Arbeitnehmer gerichteten Unterrichtungsschreiben erklärte das Schwesterunternehmen, dass es aus den von der ursprünglichen Arbeitgeberin ausgesprochenen Kündigungen keine Rechte herleiten, vielmehr die Arbeitsverhältnisse unverändert fortführen würde.
Im Verfahren ging es darum, dass der Klägerin mitgeteilt wurde, sie gehöre einem Geschäftsbereich an, der nicht mit veräußert, sondern der stillgelegt werden würde. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis der Klägerin, ohne dass ihr eine Weiterbeschäftigung im neuen Unternehmen angeboten wurde, woraufhin die Arbeitnehmerin klagte.
Das BAG hat die Kündigung als unwirksam erachtet und führte aus, dass eine vom Arbeitgeber mit Stilllegungsabsicht begründete Kündigung nur dann sozial gerechtfertigt sei, wenn sich die geplante Maßnahme auch objektiv als Betriebsstilllegung und nicht etwa als bloße Betriebsveräußerung darstelle.
An einer Betriebsveräußerung fehlte es nach Ansicht des BAG, da keine wirtschaftliche Einheit unter Wahrung ihrer Identität fortgeführt wurde. Das Schwesterunternehmen hatte weniger als die Hälfte der Arbeitsverhältnisse der Arbeitgeberin übernehmen wollen, nur zwei der vormals fünf Geschäftsbereiche erworben und materielle Betriebsmittel nur teilweise übernommen. Letzten Endes sah das BAG in den jeweiligen Geschäftsbereichen schon keine Betriebsteile im Sinne einer wirtschaftlichen Einheit, weil es ihnen an der erforderlichen funktionellen Autonomie fehlte. Das BAG kam deswegen zu dem Ergebnis, dass lediglich eine Betriebsteilstilllegung vorliege. Die Beklagte hatte bei Ausspruch der Kündigung ja nicht geplant, den gesamten Betrieb stillzulegen. Vielmehr sollte ein Teil der Belegschaft auf das Schwesterunternehmen übergeleitet werden. Diese Überleitung führte dazu, dass von einer kompletten Betriebsstilllegung und somit von der Entbehrlichkeit einer Sozialauswahl nicht ausgegangen werden konnte. MaW eine korrekte Sozialauswahl hätte vorgenommen werden müssen.
Das Urteil des BAG zeigt einmal mehr auf, dass die Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich der Fortführung betrieblicher Einheiten durch Dritte kritisch zu prüfen sind. Im Zweifel ist eine Sozialauswahl vorzunehmen. Entscheidend ist aber, ob es sich bei den betrieblichen Bereichen tatsächlich um Betriebsteile handelt oder nicht. Betriebsteile weisen eine funktionelle Autonomie in der Weise auf, dass die sächlichen und personellen Betriebsmittel nicht direkt abhängig von den übrigen Bereichen des Unternehmens autonom geführt werden. Ein deutliches Indiz hierfür ist etwa die personelle Leitungsmacht, die sich in dem vom BAG entschiedenen Fall auf alle als „Geschäftsbereiche“ bezeichneten betrieblichen Bereiche bezog. Nicht etwa gab es für jeden Geschäftsbereich eine separate Leitung.
Das Urteil des BAG zeigt auch die Tendenz auf, dass auch bei einer vollständigen Schließung des Betriebs die Durchführung einer Sozialauswahl notwendig sein kann, wenn ein Teil der Arbeitnehmerschaft in einem verbunden Unternehmen weiterbeschäftigt wird. Es kann sogar die Tendenz angenommen werden, dass im Einzelfall auch Weiterbeschäftigungen in nicht mit der Arbeitgeberin verbundenen Unternehmen zur Notwendigkeit einer Sozialauswahl führen.
Es sollte bei jeder Betriebsstilllegung im Einzelnen geprüft werden, ob eine Sozialauswahl vorgenommen werden muss oder nicht, wenn Teile der Belegschaft von anderen Unternehmen übernommen werden.