Zur Regelung des Nachlasses bestehen diverse ein oder zweiseitige Gestaltungsmöglichkeiten, die unterschiedliche Vorteile und Risiken mit sich bringen. Im Vergleich zum Testament eher unbekannt dürfte der Pflichtteilsverzicht sein.
Für einen bestimmten Personenkreis sieht das Gesetz eine Mindestbeteiligung am Erbe, den sogenannten Pflichtteil, vor. So haben nach § 2303 BGB die Abkömmlinge des Erblassers sowie der Ehegatte Anspruch auf ihren Pflichtteil. Der Wille des Erblassers ist dabei grundsätzlich irrelevant; nach dem Willen des Gesetzgebers sollen diese Personen im Erbfall auf jeden Fall einen Teil des Erbes erhalten. Selbst wenn der Erblasser einen Abkömmling oder seinen Ehegatten durch letztwillige Verfügung enterbt, wird dieser lediglich von der Erbfolge ausgeschlossen, behält aber nach § 2303 BGB dennoch seinen Anspruch auf den Pflichtteil, der grundsätzlich in Geld durch den Erben zu erfüllen ist und zwar in Höhe der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils. Selbiges gilt nach Abs.2 für Ehegatten.
Nach § 2346 BGB besteht jedoch die Möglichkeit, dass Verwandte sowie der Ehegatte des Erblassers durch Vertrag auf ihr gesetzliches Erbrecht verzichten können. Das hat zur Folge, dass der Verzichtende von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen ist und keinen Pflichtteilsanspruch mehr hat. Ein solcher Vertrag kann sinnvoll sein, um beispielsweise familiäre Konflikte zu vermeiden oder die Abwicklung des Nachlasses zu erleichtern.
Innerhalb des Vertrages ist für den Verzichtenden dabei zumeist eine Abfindung vorgesehen, mit welcher er für seinen Verzicht entschädigt wird. Dabei ist eine Orientierung an den bestehenden Vermögenswerten oder auch eine rein individuell vereinbarte Summe möglich.
An die Wirksamkeit dieses Verzichts stellt der Gesetzgeber zum Schutz des Verzichtenden einige Anforderungen. So bedarf der Vertrag gem. § 2 348 BGB der notariellen Beurkundung. Wird diese Formvorschrift nicht eingehalten, ist der Vertrag nach § 125 BGB nichtig. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass der Verzichtende umfassend und unparteiisch beraten und belehrt und so vor voreiligem Handeln geschützt wird.
Der Pflichtteilsverzicht kann jedoch trotz der erfolgten notariellen Beurkundung und der damit verbundenen Belehrung aus anderen Gründen nichtig sein.
Im „Klassiker“ des OLG Hamm (Beschluss v. 08.11.2016 10 U 36/15) stritten die Parteien Vater und Sohn um die Wirksamkeit eines solchen Pflichtteilsverzichts. In dem notariell beurkundeten Vertrag erklärte der Sohn den Verzicht hinsichtlich sämtlicher Erb -, Pflichtteils und Pflichtteilsergänzungsansprüche. Als Entschädigung für den Verzicht wurde vereinbart, dass der Sohn einen PKW erhalten sollte. Der Erhalt des PKW ( nicht die Wirksamkeit des Verzichts) war jedoch an folgende Bedingungen geknüpft:
- Der Sohn sein 25. Lebensjahr vollendet hat und
- der Sohn seine Gesellenprüfung zum Zahntechniker bis zum 31.12.2017 mit der Note 1 bestanden hat und
- der Sohn seine Meisterprüfung zum Zahntechniker bis zum 31.12.2021 mit der Note 1 bestanden hat.“
Den Abschluss dieses Vertrages bereute der Sohn jedoch schnell und teilte seinem Vater noch am selben Tag telefonisch mit, dass er diesen rückgängig machen wolle. Schließlich erhob der Sohn Feststellungsklage gegen seinen Vater und begehrte die Feststellung, dass der Vertrag nichtig ist.
Das Landgericht Detmold hat im darauf folgenden Verfahren die Nichtigkeit des Vertrags aufgrund von Sittenwidrigkeit gem. § 138 I BGB festgestellt. Auch die spätere Berufung des Vaters gegen das Urteil vor dem Oberlandesgericht Hamm blieb erfolglos.
Nach gefestigter Rechtsprechung ist ein Rechtsgeschäft sittenwidrig und nach § 138 I BGB nichtig, wenn es nach seinem Gesamtcharakter gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Folgt die Sittenwidrigkeit nicht schon allein aus dem Inhalt des Geschäfts, kann sie sich aus einer zusammenfassenden Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck des Rechtsgeschäfts sowie der äußeren Umstände, die zu seiner Vornahme geführt haben, ergeben.
Das Gericht führte diesbezüglich aus, dass der Vertrag ein erhebliches Ungleichgewicht zulasten des Verzichtenden aufwies, welches in erster Linie daraus resultierte, dass der Erbverzicht mit sofortiger Wirkung und unbedingt vereinbart wurde, während die Gegenleistung (das Auto) unter drei Bedingungen gestellt wurde. Wäre auch nur eine dieser Bedingungen nicht erfüllt worden, wäre der Erbverzicht damit ohne Gegenleistung erfolgt. Das Gericht argumentierte weiterhin mit dem unweigerlich eintretenden Wertverlust des Autos und dass die vereinbarten Bedingungen in missbilligender Weise die Wahl des beruflichen Werdegangs des Sohnes einschränken würden. Betont wurde dabei außerdem, dass aufgrund des vereinbarten starren Zeitrahmens keinerlei Spielraum für eine berufliche Umorientierung ermöglicht wurde.
Im Übrigen haben sich in der Rechtsprechung Fallgruppen gebildet, bei deren Vorliegen Sittenwidrigkeit angenommen werden kann:
- Fehlvorstellungen und fehlende Informationen zum Nachlass
- Ausnutzung einer Not oder Zwangslage
- Psychische Abhängigkeiten
- Ausnutzung von Unerfahrenheit des Verzichtenden
Ob ein Pflichtteilsverzicht wegen Sittenwidrigkeit nichtig ist, ist jedoch stets eine Frage des konkreten Einzelfalls und von einer Vielzahl von Umständen ab hängig und die Bewertung obliegt daher dem Gericht.
Sollte bei Ihnen ein Pflichtteilsverzicht in Betracht kommen oder haben Sie andere Fragen bezüglich der Abwicklung eines Nachlasses, sollten Sie sich rechtzeitig bei unserer Expertin für Erbrecht, Rechtsanwältin Monika Brünger, über Vorteile, Risiken und Gestaltungsmöglichkeiten informieren.

Autorin:
Monika Brünger
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Familienrecht