In einer spektakulären und weitreichenden Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 20. Dezember 2022, Az. 9 AZR 245/19 entschieden, dass im Fall eines schwerbehinderten Menschen, der als Kraftfahrer einer Flughafengesellschaft im Geschäftsbereich Bodenverkehrsdienste beschäftigt war, Urlaubsabgeltung bis ins Jahr 2014 zurück beansprucht werden kann. Dies kann man getrost als Paukenschlag bezeichnen.

Erinnern wir uns: Bislang ist in Anlehnung an die EuGH-Rechtsprechung von einem Verfall der Urlaubsansprüche ab 15 Monaten nach Beendigung des Urlaubsjahres auszugehen gewesen.

Nun urteilt das Bundesarbeitsgericht, auch der davor liegende Urlaub sei nicht verfallen, solange der Arbeitgeber seiner Pflicht, an der Gewährung und Inanspruchnahme von Urlaub mitzuwirken, nicht nachgekommen sei.

Denn grundsätzlich erlöschten Urlaubsansprüche nach dem Bundesurlaubsgesetz regelmäßig nur dann am Ende des Kalenderjahres oder des entsprechenden Übertragungszeitraums bis zum 31. März des Folgejahres, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor durch Erfüllung seiner Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Erst wenn der Arbeitgeber dies getan habe und noch dazu der Arbeitnehmer den Urlaub aus freien Stücken nicht genommen habe, verfalle dieser.

Nur, soweit der Arbeitnehmer durchgehend krank sei und deshalb auch eine Hinweispflicht des Arbeitgebers nichts genutzt hätte, verfällt der Anspruch nach wie vor 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres.

Da aber im Falle des Flughafenmitarbeiters dieser zwischen langen Krankheitsphasen immer wieder auch gearbeitet hat und der Arbeitgeber ihn nicht auf den Verfall hingewiesen hat, „obwohl ihm dies möglich gewesen“ sei, ist der Urlaub nicht verfallen. Für die Arbeitgeber ist das regelmäßig harter Tobak, denn im Jahr 2014 war in der Rechtsprechung von einer entsprechenden Verpflichtung und deren Rechtsfolgen bei einem Unterlassen noch nicht die Rede.

Damit hat das Bundesarbeitsgericht die sogenannten Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers in Bezug auf die Hinweispflichten noch einmal folgenreich zulasten der Arbeitgeber betont und mit diesem Urteil Tür und Tor für kostspielige Urlaubsabgeltungsprozesse der Arbeitnehmer geöffnet.

Klarmachen muss man sich zudem noch, dass nach Ansicht des BAG die übliche Verjährungsfrist von drei Jahren für Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis überhaupt nicht erst zu laufen beginnt, wenn die beschriebene Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers von diesem nicht nachgehalten werden kann.

Die ersten Prozesse mit mittleren fünfstelligen Summen sind bereits angekündigt. Jeder vernünftige Arbeitgeber wird sich dagegen durch die entsprechenden Maßnahmen schützen müssen.

Mit unseren Fachanwälten für Arbeitsrecht bei Handschuh + Lehmann beraten wir Sie gerne.

Autor:
Matthias Lehmann
Partner
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht
Zert. Restrukturierungs- und Sanierungsexperte (RWS)