Wir erinnern uns:

Bisher war der Bundesgerichtshof (BGH) der Ansicht, dass bei Fahrzeugen mit Thermofenstern, bei denen die Abgasreinigung bei in Deutschland üblichen Temperaturen ganz oder teilweise ausgeschaltet wird, eine Haftung nur wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB in Betracht kommt. Allerdings sah der BGH die Voraussetzungen für eine solche Haftung nicht als gegeben an, da Sittenwidrigkeit in diesen Fällen voraussetzt, dass die Verantwortlichen bei der Entwicklung in dem Bewusstsein gehandelt haben, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen haben. Dies konnte nicht festgestellt werden. Insoweit sei nur ein Fahrlässigkeitsvorwurf gerechtfertigt, welcher für eine Haftung nach § 826 BGB nicht genügt.

Ein Schadensersatzanspruch wegen fahrlässig verbauter illegaler Abschalteinrichtung kam laut BGH hingegen bislang nicht in Betracht:

Nach deutschem Zivilrecht ist ein Schadensersatzanspruch nach § 823 BGB in Verbindung mit einem Schutzgesetz zwar auch bei bloßer Fahrlässigkeit möglich. Diese Haftung setzt aber voraus, dass das Schutzgesetz drittschützend in dem Sinne ist, dass es auch zum Schutz des Anspruchstellers, hier also der Diesel-PkW-Käufer, gedacht ist. Laut Ansicht des BGH sind aber die unionsrechtlichen Regeln für Automobilhersteller, die Abschalteinrichtungen verbieten (Art. 5 Abs. 2 EG-Verordnung 715/2007) nicht drittschützend. Sie bezwecken gemäß bisheriger Rechtsprechung des BGH keinen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts der einzelnen Käufer.

Dieser Rechtsprechung des BGH hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) nun einen Riegel vorgeschoben:

In einem Vorlageverfahren hat der EuGH am 21.03.2023 entschieden, dass Käufer eines Kraftfahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gegen den Fahrzeughersteller einen Anspruch auf Schadensersatz haben, wenn dem Käufer durch diese Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist. Der EuGH entschied zudem, dass das Unionsrecht nicht nur allgemeine Rechtsgüter, sondern auch die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs gegenüber dessen Hersteller schützt, wenn das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist.

Diese Entscheidung könnte für die Autoindustrie ein mögliches wirtschaftliches Fiasko bedeuten, da Autohersteller nun schon bei bloßer Fahrlässigkeit haften (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. drittschützendem Unionsrecht), wenn sie eine illegale Abschalteinrichtung in Diesel-PkW verbauen. Es könnte infolge der neuen Rechtsprechung daher zu einer weiteren Klagewelle gegen Autohersteller kommen.

Die in der Kanzlei Handschuh + Lehmann tätigen Rechtsanwälte können Sie als Betroffenen hierzu rechtssicher beraten.

Autor:
Christopher Hohensee
Rechtsanwalt